No ride Rallye Großbritannien 2020

 

Auf eine solche Idee können wahrscheinlich nur Briten kommen….

 

 

Aufgrund der Corona Krise 2020 hat die Iron Butt Association weltweit alle Veranstaltungen vorerst ausgesetzt. Und das ausgerechnet zum Saisonbeginn. Meiner Meinung nach die richtige Entscheidung, aber trotzdem deprimierend.

 

 

Es gibt mindestens zwei Möglichkeiten darauf zu reagieren:

 

 

1.       Zu Hause sitzen und traurig in alten IBA Rallye Erinnerungen schwelgen.

 

 

oder

 

 

2.       Zu Hause sitzen und an einer virtuellen Rallye der IBA Großbritannien teilnehmen.

 

 

 

Ja, Ihr habt richtig gelesen.

 

 

 „Virtuelles Rallye fahren“.

 

 

Von der Idee her ist alles eigentlich (fast) wie immer.

 

 

-          Start der Rallye: 11.04.2020 / 08:00 Uhr

 

-          Ende der Rallye: 12.04.2020 / 20:00 Uhr

 

-          Spielfeld: Großbritannien

 

 

Es gibt ein Rallye-Book, das alle in Frage kommenden Bonus-Location, mit der zugehörigen Punktzahl enthält. Dazu eine .gpx Datei mit den jeweiligen Koordinaten. Beides wird zu Rallye Beginn am 11.04.2020 um 08:00 Uhr den Teilnehmern per Mail zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmer beginnen sofort mit der Planung und starten im Anschluss daran.

 

 

Allerdings sieht es so aus, dass die „gefahrene“ Strecke, und somit die benötigte Zeit zwischen zwei Orten, mit Hilfe eines Screenshot aus Google Maps belegt werden muss. Da man an der so „erreichten“ Bonus Location kein Foto machen kann, muss man im Internet nach einer Aufnahme des betreffenden Ortes suchen und auch davon einen Screenshot machen.

 

 

Beides zusammen wird per Mail an den Rallye-Master gesendet. Das ganze geschieht natürlich in Echtzeit, d.h. die nächste Mail einer Bonus-Location kann erst dann verschickt werden, wenn diese gem. der Fahrzeit aus Google Maps erreicht wurde.

 

 

Um das Ganze zu erschweren, müssen regelmäßig Tankstopps eingelegt werden. Um diese gerecht zu gestalten, sind alle Teilnehmer virtuell mit dem gleichen Motorrad unterwegs. Einer Norton Interceptor 350, mit einer Reichweite von exakt 140 Meilen oder 225 Kilometer.  Eines ist für die nächsten 36 Stunden schon einmal sicher: Ich werde viele virtuelle Tankstellen besuchen… 

 

 

Am Vortag der Rallye treffe ich meine Vorbereitungen. In meinem Arbeitszimmer hänge ich eine Straßenkarte von Großbritannien an die Wand, auf meinem Laptop lege ich ein neues Verzeichnis für alle Dokumente mit entsprechenden Unterordnern für Map- sowie Fotoscreenshots an.

 

 

Letztendlich informiere ich meine Familie über mein Vorhaben in den nächsten beiden Tagen. Die halten das Ganze für die ersten mentalen Auswirkungen der letzten vier Wochen Quarantäne, und erklären mich für bekloppt…

 

 

Pünktlich am 11.04.2020 sitze ich um 07:50 startklar an meinem Laptop. Dieser ist hochgefahren, ich habe meine Weste mit all meinen IBA Patches an und meinen Helm auf. Na ja, zumindest für die ersten 5 Minuten, um wenigstens stilecht an der Startlinie zu sitzen. (Meine Frau und meine Kinder bestärkt das in der Einschätzung meines aktuellen Geisteszustands…).

 

 

 

08:00 Uhr! Und? Es passiert nichts!

 

 

Keine Mail vom britischen Zweig der der IBA! Wo bleibt die Mail mit meinem Rallye Book und den GPS Koordinaten? Das Datum stimmt doch. Und die Uhrzeit auch. Um 08:20 Uhr schicke ich eine Mail an den Rallyemaster. Haben die mich etwa vergessen???

 

 

Kaum habe ich den „SENDEN“ Button gedrückt, fällt es mir ein…Mann ist das peinlich! Die Zeit Verschiebung…In Großbritannien ist es noch eine Stunden früher und damit erst 07:20 Uhr.

 

 

Oh je…Schnell eine Mail hinterher geschickt. Wahrscheinlich sitzen die Jungs jetzt in ihrem Rallye Hauptquartier und verschütten ihren „Morning Tea“ vor Lachen. Das fängt ja schon gut an…

 

 

Noch nicht los “gefahren“ und schon zum Affen gemacht. Wahrscheinlich war ich deshalb auch alleine an der Startlinie…(?!?)

 

 

Um Punkt 09:00h Vordertaunus Ortszeit kommt die ersehnte Mail mit Rallyebook und .gpx Koordinaten. Als erstes fällt mir auf, dass es diesmal keine Kombinationen von Bonus Location gibt. Solche Kombinationen kommen in den meisten Rallyes vor. Werden bestimmte Bonus-Location in Kombination angefahren, gibt es dafür extra Punkte. 

 

Diesmal gilt es allerdings innerhalb von 36 Stunden, so viele Bonus-Location wie möglich anzufahren. Da sich alle in einer Punkteskala von 90 bis 110 Punkten bewegen, lege ich bei meiner Grobplanung viel Wert darauf, dass auf einer potenziellen Route, möglichst viele Bonus-Location nah bei einander liegen.

 

 

Daher auch mein Entschluss, möglichst schnell „los zu fahren“ und den ersten Screenshot mit der Route auf Google Maps und ein Foto der erste  Bonus-Location an Rallye Master zu mailen.    

   

 

Den Startort kann ich selbst festlegen. Ich entscheide mich für eine Gegend, die ich tatsächlich schon einmal befahren habe. Cornwall.

 

 

 Und so starte ich die Rallye an der Tate Gallery in St. Ives.

 

 

Mein erstes Ziel ist St. Mawes Castle, eine im Südosten gelegene Artillerie Festung, mit Blick auf das Meer

 

Wie eingangs erwähnt, habe ich  meine Route bereits grob festgelegt. Die „Punkt zu Punkt“ Navigation kann ich in der Zeit erledigen, die ich laut Google Maps, von einer Bonus Location zur nächsten benötige. Hier weicht das Prozedere gegenüber dem „richtigen“ Rallye fahren stark ab. Bevor ich normalerweise an der Startlinie stehe, ist mein Routing fertig geplant. Jetzt wird „Fahrtzeit“ zu „Planungszeit“.

 

 

Und so arbeite ich mich vom Süden Großbritanniens immer weiter Richtung Norden vor und lege viele virtuelle Stopps ein.

 

 

Hier einige Beispiele:

 

 

 

Am bekannten Gefängnis im Dartmoor

 

An den römischen Bädern in Bath

 

Wer kennt nicht das Ace Café in London?

 

 

An der Triumph Zentrale in Hinckley

 

 

Und an vielen vielen anderen…

 

 

Gegen 17:00 Uhr habe ich die komplette Routenplanung für alle Bonus-Location bis zum nächsten Abend 20:00 Uhr, und damit bis zum Überfahren der Ziellinie, abgeschlossen.   

 

 

Dadurch beginnt jetzt der eher langweilige Teil der virtuellen Rallye. Der eigentliche Fahrspaß auf zwei Rädern, wird durch das sich ständig wiederholende Einstellen des Handyweckers, und dem Versand einer Mail mit Route und Bild der Bonus-Location, nach theoretischem Erreichen des nächsten Zielorts ersetzt.

 

 

Dieser Vorgang wiederholt sich bis Mitternacht (britische Zeitzone), bzw. 01:00 Uhr (deutsche Zeitzone) immer wieder.

 

 

 Dann folgt endlich der lang ersehnte sechs stündige Night-Stopp. Statt in einem Hotel zu nächtigen, schlafe ich natürlich in meinem eigenen Bett. Ich sende eine Mail mit dem Beginn meiner Schlafzeit und bin kurze Zeit später schon eingeschlafen. Ganz schön anstrengend dieses virtuelle Rallye fahren!

 

 

Exakt 6 Stunden später und ziemlich unausgeschlafen folgt die nächste Mail, die das Ende meiner Schlafzeit ankündigt. Es ist mittlerweile Ostersonntag 07:00 Uhr im Vordertaunus und ich sitze wieder für die nächsten 11 Stunden vor meinem Laptop. Meine Familie hat mittlerweile keine Zweifel mehr an der Einschätzung meines Geisteszustands…

 

 

Was nun in diesen 11 Stunden folgt, ist das regelmäßige Versenden von Mails mit Routing und Bonus-Location Foto. Nur unterbrochen durch Essen- und TV Pausen. Ich gebe auf dieser Rallye wirklich alles!

 

 

20:00 Uhr (britische Zeitzone) muss man über die Ziellinie fahren.  Die Ziellinie ist ausnahmsweise eine Bonus-Location, die man selbst bestimmen kann.

 

 

Ich entscheide mich für Eggleston Hall.  Ein imposantes Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, ungefähr eine Motorradstunde von Newcastle entfernt.

 

 

Lt. Google Maps komme ich dort auf die Minute um 20:00 Uhr (britische Zeitzone) an. Die letzte Mail ist also die, die pünktlich um 21:00 Uhr (Vordertaunus Ortszeit) verschickt werden muss.

 

 

Der Wecker in meinem Handy ist das letzte Mal gestellt. Eigentlich ist das gar nicht notwendig, denn ich sitze bereits seit 20:50 Uhr  vor meinem Laptop. Die Mail ist bereits vorgeschrieben und beinhaltet den letzten Kartenausschnitt aus Google Maps und mein finales Foto.

 

 

Auf die Sekunde genau klicke ich auf den „Senden“ Button und bin im Ziel.

 

Ich fühle mich ähnlich erleichtert, wie nach dem Überqueren der Ziellinie bei einer echten Rallye. Das Gefühl, auf einmal alle Zeit der Welt zu haben, weil man nicht mehr gegen die Uhr arbeitet, kann nur der nachvollziehen, der einmal eine Rallye der IBA mitgefahren ist.

 

 

Natürlich gönne ich mir jetzt erst einmal das obligatorische „Finisher Bier“. Nur diesmal leider nicht gemeinsam mit den anderen Fahrern an der Hotelbar, sondern für mich alleine im heimischen Wohnzimmer.

 

 

Jetzt wird es erst einmal ein paar Tage dauern, bis alle Mails, Kartenausschnitte und Fotos ausgewertet sind.

 

 

Drei Tage nachdem ich um 08:00 Uhr morgens (britische Zeitzone) an der Startlinie gestanden habe, bekomme ich endlich meine Platzierung mitgeteilt.

 

 

Ein Ergebnis mit dem ich mehr als zufrieden bin:

 

 

Fazit: Natürlich kann so eine Veranstaltung keine echte Rallye ersetzten und ich kann es kaum erwarten, bis es wieder richtig losgeht, aber als Ersatzprogramm für ein kurzweiliges Osterwochenende eine tolle Sache.

 

 

Bleibt nur zu hoffen, dass wir ein solches Ersatzprogramm nie wieder brauchen… 

 

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